Zwang und Mitwirkung. Das Jahr 1933 im Kleingartenverein „Goldene Höhe“
Die politische Situation hat die Geschichte unseres Vereins den größten Teil des 20. Jahrhunderts bestimmt. Die Frage danach, wer Mitglied oder Vorstand sein durfte, wie viel Saatgut verwendet werden sollte und selbst, wie eine Parzelle zu gliedern sei, war nicht etwa frei durch den Verein oder seine Mitglieder zu entscheiden, sondern wurde oft bis ins Kleinste durch übergreifende Anordnungen geregelt. Ein Zeugnis von diesen tiefen Eingriffen in die Vereinsarbeit und –strukturen bieten erhalten gebliebene Akten der Kommunikation zwischen Kreisverband und Gartenverein.* Sie verdeutlichen aber auch das Mitwirken der Mitglieder selbst an der politischen Ausrichtung des Gartenvereins. Im Folgenden sollen dabei die Vorgänge der ersten Jahreshälfte 1933 besondere Beachtung finden. Zum Überblick und zur Einordnung zunächst ein Auszug aus unserer Vereinschronik (Kapitel: „Die Jahre der Gleichschaltung“)**:
Das Jahr 1933 begann am 7. Januar mit der Weihnachtsfeier, am 25. Februar fand die Jahreshauptversammlung im Vereinshaus statt. Die Kleingärtner freuten sich auf das Schaffen und Erholen im Freien, auf gemeinsames Feiern im Verein. Der Machtantritt der Nazis wurde nicht von jedem in seiner ganzen Tragweite sofort erfaßt. Das sollte sich aber schon bald ändern, denn Ziel der neuen Regierung war es, alles der „nationalen Bewegung“ unterzuordnen. Dazu diente der „Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands“, der in Landesgruppen untergliedert war. Bereits im Mai ist im Mitteilungsblatt der Landesgruppe Sachsen der Kleingärtner e.V. zu lesen, daß die Leitung des Kreisverbandes Leipzig „gleichgeschaltet“ worden ist. Daraus folgte als Konsequenz eine „Anordnung für die Gruppen und Vereine“, nachdem diese gleichzuschalten waren.
Das beinhaltete: „Der geschäftsführende Vorstand, also der 1. und 2. Vorsitzende, Schriftführer und Schatzmeister sollen der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei angehören. Bis zum 15. Mai ist dem Verband darüber Meldung zu erstatten.“(Mitteilungsblatt Nr. 5, VII.Jhg., Mai 1933) Demokratische Wahlen zu den Vorständen gab es nicht mehr.
Sehr bald meldeten sich die Verfechter der neuen Bewegung auch in den Zeitschriften der Kleingärtner und verteidigten die neue Linie. So heißt es in „Garten und Kind“ Nr. 8, 1933:
„Die Schreber- und Gartenbewegung hat sich immer als Bewegung des deutschen Volkes gekennzeichnet. Sie würde jetzt außerhalb des Volkes stehen und hätte jedwede Lebensberechtigung verloren wollte sie nicht mithelfen am großen und schweren Werke des Wiederaufbaues eines freien deutschen Volkes und Vaterlandes. … Wer redet da von Verletzung der politischen Neutralität, die einstmals dem Schreberverbande satzungsgemäß vorgeschrieben war?“
Damit wird deutlich: Die in den Satzungen der Vereine verankerte Pflicht der Mitglieder, „sich jeder parteipolitischen Betätigung innerhalb des Vereins zu enthalten“, wurde administrativ aufgehoben.
Bereits im Dezember 1933 wurde die Schreberjugend – darunter fielen die Vereinigungen der über 14 Jahre alten schulentlassenen Jugendlichen – aufgelöst und auf Anordnung der Landesgruppenführer auf die Hitlerjugend orientiert, die jüngeren sollten sich dem Jungvolk anschließen. Ein halbes Jahr später gehörten bereits 323 Leipziger Schrebermädel dem „Bund deutscher Mädel“ und 427 Schreberjungen dem „Jungvolk“ an.
Dieser – durchaus zurückhaltende – Bericht unserer Chronik lässt sich durch einen Blick in die Akten noch weiter vertiefen. Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik für die Gartenvereine wurden bereits sehr früh unübersehbar. In einer vertraulichen Mitteilung des Kreisverbandes an die Vorstände der Vereine wurde schon am 28. März mitgeteilt, dass „irgendwie geartete Maßnahmen, die gegen die Reichsregierung ausgelegt werden können, zu unterlassen“ seien. Am 5. März erfolgte die Information, dass alle Verantwortlichen im Verein eine Erklärung des Landesverbandes zu unterzeichnen hatten, wonach sich die Kleingärtnerbewegung der Sache des neuen Staates verpflichtet sehe. Wer nicht unterzeichnen könne, so hieß es, „soll durchaus nicht gezwungen werden, muß sich aber klar darüber sein, daß er somit von seinem Posten zurücktreten muß und sich außerhalb der Landesorganisation stellt.“
Erstmals ab 26. April unterzeichnete der kommissarisch vom „Beauftragten für das Wohnungs-, Siedelungs- und Kleingartenwesen“ eingesetzte Vorsitzende des Kreisverbandes und Mitglied der NSDAP, Hupfer, die Mitteilungen des Kreisverbandes, der damit gleichgeschaltet war, allerdings noch mit der alten Grußformel „mit Verbandsgruß“.
Spätestens am 3. Mai 1933 ordnete der Kreisverband auch die Gleichschaltung der Gartenvereine an. Besonders Mitgliedschaften in der SPD oder in Gewerkschaften bis ins Jahr 1932 mussten angegeben werden.
Dieser Anordnung kam auch unser Gartenverein nach: In einer Mitteilung vom 14. Mai 33 heißt es: „die in der gestrigen Hauptversammlung gemäß Anordnung im Mitteilungsblatt Nr. 5/33 (vom 3. Mi 33) unter Leitung des beauftragten Verbandsverwalters, Herrn Dr. Richter hier vorgenommene Gleichschaltung der Vereinsleitung unseres Vereins hatte folgendes Ergebnis:“
Zum ersten Vorsitzenden wurde der Buchhändler Walter Wittig, parteilos und Vorstandsmitglied seit 1922 bestimmt. Die weiteren Ämter verteilten sich wie folgt:
- 2. Vorsitzender: Heymann, NSDAP und NSBO***, Vorstand seit 1931
- 1. Schriftführer: Hering, NSDAP, Vorstand sei 1933
- 2. Schriftführer: Kästner, NSBO, Vorstand sei 1933
- 1. Kassierer: Siedentopf, NSDAP, Vorstand seit 1929
- 2. Kassierer: Leistner, NSBO, Vorstand seit 1931
- Jugend-Obmann: Pfaff, NSBO, Vorstand seit 1932
- Garten-Obmann: Winkler, parteilos, Vorstand seit 1929
Dieses Ergebnis der Hauptversammlung hatte nicht lange Bestand: Schon im August 1933 wurde der Vorstand erneut bestimmt, diesmal trat der zweite Schriftführer Kästner nicht noch einmal an. Möglicherweise war der erwähnte Dr. Bruno Richter noch nicht ganz auf Parteilinie gewesen, als er die Wahl geleitet hatte. Später wurde ihm jedenfalls „staatsfeindliches Verhalten“ vorgeworfen, wogegen er sich laut einem erhalten gebliebenem Brief an die Vereine zu verteidigen suchte:
Am 11. Dezember 1933 wurde schließlich der bisherige Schriftführer Hering kommissarisch als Geschäftsführer des Vereins bis zu einer Neuwahl eingesetzt. Den Fortgang beschreibt unsere Chronik so:
[Der] damalige Vorsitzende, Kurt Thaßler, [teilte] in der außerordentlichen Hauptversammlung am 24. März 1934 mit, daß er vom Stadtgruppenführer zum Vereinsführer berufen worden ist. Die Bestätigung durch die Mitglieder erfolgte einstimmig. Herr Thaßler informierte die Versammelten darüber, daß die bisherigen (gewählten!) Vorstandsmitglieder ihre Ämter niedergelegt hatten. Entsprechend der Tagesordnung stimmten die Mitglieder einstimmig einer Satzungsänderung zu. Dabei ging es zum einen darum, daß jedes Mitglied verpflichtet wurde, an angeordneten fachlichen Schulungsabenden und sonstigen Pflichtveranstaltungen teilzunehmen und zum anderen bei mehr als dreimaligem unentschuldigten Fehlen die Mitgliedschaft erlischt. Am 30. März 1935 wurde dem Amtsgericht Leipzig mitgeteilt, daß Kurt Thaßler sein Amt niedergelegt hat. Als neuer Vereinsführer war Herr Willy Siedentopf vom Stadtgruppenführer berufen worden.sdf
Neben und mit diesen organisatorischen Eingriffen wird die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie in jeder weiteren Mitteilung des Kreisverbandes oder unseres Gartenvereins greifbar. Ging es noch Anfang 1933 ausschließlich um kleingärtnerische Fragen, befassten sich die Mitteilungen des Kreisverbandes nun etwa mit der Kontrolle personellen Strukturen, aber auch der inhaltlichen Arbeit. In einer Mitteilung des Kreisverbandes vom 27. Mai 33 heißt es: „Aus ganz besonderen Gründen sind auch die Verzeichnisse der Jugendbüchereien bis [zum 2. Juni 1933] an die Geschäftsstelle einzureichen.“ Hier sollte also überprüft werden, dass keine der Ideologie unliebsame Literatur verbreitet wurde. Ab dem 17. Mai unterzeichnete der Kreisverband auch nicht mehr mit der Formel „mit Verbandsgruß“ oder „mit Schrebergruß“, sondern nutzte den Hitlergruß.
Wie unser Verein an dieser nationalsozialistischen Umgestaltung mitwirkte und sich ihr gemein machte, davon haben sich in den Akten ebenfalls Spuren erhalten. Auf der Anordnung des Kreisverbandes vom 31.Mai 1933, wonach die „Betreuung der Kinder jüdischer Eltern […] nicht gestattet“ sei und, „[s]ofern bereits solche Kinder in die Spiellisten aufgenommen sind, sie zu streichen [sind]“, hat sich die handschriftliche Anmerkung erhalten: „gestrichen!“
Sofern unsere Chronik also vermerkt, „[i]m Verein gestaltete sich das Leben wie gewohnt.“, so gilt das in vielfacher Hinsicht nicht. Die Kleingartenvereine wurden frühzeitig vom Nationalsozialismus durchdrungen und beteiligten sich aktiv an der Implementierung dieser Ideologie in ihrer alltäglichen Arbeit. Sie hissten die Hakenkreuzfahne, beteiligten sich an Aufmärschen und schlossen all diejenigen aus, die sich dieser politischen Haltung nicht anschließen wollten oder konnten. Sicher wurde die vorgegebene Teilnahme an den verschiedenen politischen Veranstaltungen oder die erzwungene Gleichschaltung der Vorstände nicht von allen gutgeheißen. Unübersehbar aber war sie in jedem Falle.
Im Ganzen betrachtet ist somit die Kündigung der Mitgliedschaft Paul Emil Wasserstroms 1938 keineswegs ein Einzelfall in einer ansonsten nahezu unpolitischen Zeit des täglichen Gießens und Harkens, sondern lediglich ein Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits 1933 deutlich wurde. Dazu noch einmal unsere Chronik:
Entsprechend der im November 1935 vom Reichsgerichtshof in Nürnberg erlassenen Rassengesetze wurde dem Pelzhändler Paul Emil Wasserstrom Anfang 1938 die Mitgliedschaft in unserem Verein gekündigt, im März 1939 mußte er seinen Garten verkaufen. Herr Wasserstrom war Jude. Er war als ruhiger, hilfsbereiter Gartenfreund geachtet, besonders die Kinderfeste hatte er mit großzügigen Geldspenden gefördert. Anfang 1940 verstarb er im KZ Sachsenhausen. 1945 beantragte Frau Wasserstrom die Rückgabe ihres Gartens, der inzwischen anderweitig vergeben war. Nach längeren Verhandlungen wurde ihr der Garten Nr. 118 zugesprochen, den sie 1956 altershalber aufgab.
* Die Akten liegen im Kleingartenverein „Goldene Höhe“ e.V. vor. Die Sammlung stellt einen Auszug des Schriftverkehrs da; es kann hier nicht genau bestimmt werden, welche Unterlagen fehlen.
** Unsere Vereinschronik liegt für Interessierte im Büro des Vereins vor.
*** NSBO = Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation („Gewerkschaft“ der NSDAP)